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October 2018

Menschen mit einer Querschnittslähmung Mobilität zurückgeben

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Sie zählen trotz des frühen Stadiums ihrer Entwicklung zu den richtungsweisenden Errungenschaften aus Technik und Mechatronik, faszinieren Menschen in aller Welt und sind von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung: Exoskelette. Eine vielversprechende und zukunftsweisende Rolle wird dem Exoskelett vor allem im medizinischen Bereich zugesprochen. Hier kommen die körperlich schützenden als auch unterstützenden Eigenschaften und Funktionen der Stützstruktur in ihrer Grundform zum Tragen – sie helfen beeinträchtigten Menschen dabei, alltägliche Bewegungen auszuführen, Bewegungsfreiheiten wiederzuerlangen und existenzielle Bedürfnisse zu erfüllen. Im Rahmen klinischer Studien wird unter anderem der Einsatz von speziell angefertigten und auf die medizinischen Anforderungen ausgelegten Exoskeletten bei Patienten mit unterschiedlichsten Lähmungen untersucht. Dabei wird deutlich, dass es im medizinischen Kontext nicht die prinzipielle Aufgabe des Exoskeletts ist, in vollem Umfang bestehende Fähigkeiten zu verbessern. Ein Exoskelett soll den Betroffenen vor allem dabei helfen, Fähigkeiten zurückzugewinnen, die ihnen etwa durch Erkrankungen oder Unfälle entrissen wurden.

Aufbau und Komponenten von Exoskeletten

Hinsichtlich ihres Aufbaus und ihrer Komponenten lassen sich Exoskelette grundsätzlich in die Gruppe der passiven und der aktiven Stützstrukturen einteilen. Passive Exoskelette unterstützen den tragenden Körper lediglich mittels mechanischer Komponenten wie Federn, Dämpfern oder Gewichten – sie verfügen über keinen aktiv gesteuerten Antrieb. Entstehende Belastungen werden von der Stützstruktur aufgenommen und abgestützt. Aktive Exoskelette hingegen verfügen neben mechanischen Elementen über weitere aktive Antriebskomponenten. Genutzt werden in diesem Zusammenhang vorrangig kurz- und leichtbauende Wellgetriebe der Harmonic Drive AG der Baureihen CSD und SHD in Kombination mit sehr kompakten Elektromotoren. Je nach Modell sind Sensoren verbaut, um die Lage der Gelenke aufzunehmen. Das Know-how der Hersteller von Exoskeletten liegt in der Verarbeitung dieser Information und der Erzeugung flüssiger Bewegungsabläufe.

Die Bedeutung des Exoskeletts wird insbesondere bei Betrachtung der Gesellschaftsentwicklung deutlich. Steigende Lebenserwartungen und der demografische Wandel stellen bereits heute Herausforderungen an Medizin, Wirtschaft und Wissenschaft. Der Medizin wird an dieser Stelle eine ganz besondere Rolle zukommen, denn auch im Alter soll kein Mensch auf seine grundlegenden Bewegungsfreiheiten und Mobilität verzichten müssen. Der innovative Fortschritt der Exoskelett-Technik steht demnach nicht ausschließlich vor einem medizinischen, sondern ebenso vor einem gesamtgesellschaftlichen Hintergrund. Bekannt sind Exoskelette jedoch vor allem als Stützstrukturen für querschnittsgelähmte Personen. Diesen ermöglichen sie einen aufrechten Gang und alle damit verbunden Vorteile wie wieder erlangte Unabhängigkeit, Kommunikation auf Augenhöhe und vor allem eine bessere Blutzirkulation bzw. verbesserte Durchblutung der Beine und Organe.

Menschen mit einer Querschnittslähmung Mobilität zurückzugeben ist auch das erklärte Ziel des Project MARCH an der Delft University of Technology, Niederlande. Jedes Jahr wird ein neues Studenten-Team zusammengestellt, um den bestehenden Prototyp zu verbessern. Hierzu unterbrechen Studenten aus verschiedenen Studiengängen und Semestern freiwillig ihr Studium für ein Jahr, um das Exoskelett des Vorjahres-Teams weiterzuentwickeln und zu verbessern. In enger Zusammenarbeit mit einem Piloten, einer vollständig querschnittsgelähmten Person, und den Therapeuten der Sint Maartens Klinik, wird das bestehende Exoskelett des Vorjahres-Teams auf den Prüfstand gestellt und unter echten Bedingungen weiterentwickelt. Bei der Diagnose der Querschnittslähmung wird zwischen einer vollständigen und inkompletten Paraplegie unterschieden. Das Team des Project MARCH konzentriert sich auf Menschen mit vollständiger Querschnittslähmung, bei der die Schädigung des Rückenmarks dauerhaft und damit unheilbar ist, die jedoch ihre Arme voll nutzen können. Es wird ein Exoskelett angestrebt, welches zuverlässig und solide innerhalb der Grundbewegungen funktioniert und den Bedürfnissen des Piloten entspricht. Im Anschluss werden weitere Funktionalitäten betrachtet, hinsichtlich alltäglicher Verwendbarkeit besprochen und je nach Ergebnis verworfen oder umgesetzt. 

Exoskelette sind ein wichtiger Schritt in Richtung Zukunft, in der Rollstühle vielleicht vollständig von den Straßen verschwinden könnten. Das ultimative Ziel ist es, Exoskelette für alle zugänglich zu machen. „Seit zwei Jahren arbeiten wir eng mit den jeweiligen Teams von Project MARCH zusammen und es ist unglaublich zu sehen, was aus den anfänglichen Ideen tatsächlich entsteht. Wie auch im Vorjahr entschied sich das Team für einen Einbausatz der Baureihe CSD, die sich durch eine besonders kurze Baulänge und geringes Gewicht auszeichnet und somit optimal für das Exoskelett geeignet ist. Die Studenten sind sehr engagiert und innovativ, sodass wir es uns natürlich nicht nehmen lassen wollten, sie persönlich auf der CYBATHLON Experience zu unterstützen.“, so Tim Schmidt, strategischer Vertriebsingenieur Sonderumgebungen bei der Harmonic Drive AG.

Die Harmonic Drive® Einbausätze der Baureihe CSD sind erhältlich in sieben Baugrößen mit den Untersetzungen 50 bis 160 bei einem wiederholbaren Spitzendrehmoment zwischen 12 und 823 Nm und einer Drehmomentdichte von 230 bis 512 Nm/kg. Die Einbausätze der Baureihe CSD können auf unterschiedlichste Anwendungen angepasst werden und sind aufgrund der Beschränkung auf drei Bauteile sehr robust. Darüber hinaus überzeugen sie durch ihre besonders kurze Baulänge. Des Weiteren wird aufgrund der Spielfreiheit und der hohen Übertragungsgenauigkeit ein exzellenter Geschwindigkeitsgleichlauf erreicht.

CYBATHLON Experience auf der Rehacare

Das Team von Project MARCH hat das Exoskelett im September 2018 während der CYBATHLON Experience auf der REHACARE in Düsseldorf präsentiert. Der CYBATHLON ist ein Wettbewerb für Para-Athleten, in welchem kommerzielle und akademische Teams mit ihren selbst entwickelten Exoskeletten konkurrieren, um die vier Hindernisse des Wettbewerbs innerhalb von acht Minuten zu absolvieren. Die Hindernisse sind den Herausforderungen des alltäglichen Lebens nachempfunden. Aufstehen aus einem tiefen Sofa, eine Schräge hinauf und hinunter gehen, über unwegsames Gelände laufen, Treppensteigen sowie das Öffnen und Schließen von Türen, stellt für Menschen ohne Beeinträchtigung keinerlei Schwierigkeiten dar. Beim CYBATHLON müssen genau diese Aufgaben von einer querschnittsgelähmten Person mit Hilfe eines Exoskeletts absolviert werden. Die CYBATHLON Experience ist ein Spin-off des Cybathlons, der alle vier Jahre in Zürich stattfindet – wie es auch bei den Olympischen Spielen der Fall ist. Die im Jahr 2016 gegründete Cybathlon-Organisation zielt darauf ab, Barrieren zwischen der Öffentlichkeit, Menschen mit Behinderungen und Technologie-Entwicklern durch die Organisation von einzigartigen Wettbewerben zu brechen. Die Wettkämpfe werden als öffentliches Ereignis organisiert, in dem Menschen mit Behinderungen oder körperlichen Schwächen in mehreren Disziplinen gegeneinander antreten – unterstützt durch die neuesten Hilfsmittel, unter anderem aus der Robotertechnologie. 

Autor: Tim Schmidt ist strategischer Vertriebsingenieur, Sonderumgebungen, Medizintechnik bei der Harmonic Drive AG