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May 2020

Das Exoskelett – von der Vision zur Wirklichkeit

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Mindestens so alt wie der Menschheitstraum vom Fliegen ist der Traum, die Physis des menschlichen Körpers technologisch zu verstärken, seine Funktionen künstlich zu ersetzen oder mechanisch zu entlasten. Erste Versuche, aus Vision Wirklichkeit werden zu lassen, gehen womöglich auf einen Erfinder aus dem Alten Ägypten zurück. Vor etwa 3000 Jahren soll dieser eine künstliche Prothese für den großen Zeh einer Priestertochter hergestellt haben, wie man in der Grabstätte von Sheikh Abd el-Qurna entdeckte. Was mit Prothesen für Gliedmaßen begonnen hatte, ist über die Jahrhunderte zum heutigen High-Tech-Exoskelett herangewachsen, das Querschnittsgelähmten den aufrechten Gang ermöglicht oder beim Ausführen schwerer Arbeiten hilft.

Realität und Lebensqualität statt Science-Fiction

In einigen Science-Fiction-Filmen wurde das Prinzip bereits vorweggenommen: Menschen steuern eine Art maschinelle Ganzkörperstützstruktur mit Hilfe ihrer Nervenimpulse, sodass sie Arbeiten bewältigen können, deren Erfordernisse weit über die Fähigkeiten der natürlich gegebenen menschlichen Physis hinausgehen. Schon heute finden ähnliche Geräte in einer Mischung aus stabilisierender Stützstruktur und aktiv kraftverstärkender Robotik in Arbeitsfeldern Anwendung, bei welchen Menschen mitunter mit besonders schweren Werkzeugen oder körperlichen Belastungen umgehen müssen. Doch die eigentliche Hoffnung der Technologie liegt im medizinischen Bereich der Orthetik und Prothetik.

Als Orthesen bezeichnet man orthopädisch angepasste Stützstrukturen wie zum Beispiel Korsetts oder Gelenkorthesen, die auf passive Weise eine Stützfunktion für geschwächte Muskeln, Lähmungen oder andere Beeinträchtigungen bereitstellen. Aus diesen passiven, orthopädischen Strukturen entwickelte sich im Laufe der Zeit die Idee des aktiven Exoskeletts, das dank des Einsatzes von Sensorik, Mechanik und Mechatronik Körperbewegungen ergänzen oder sogar vollständig übernehmen soll. Damit wird querschnittsgelähmten Menschen der aufrechte Gang ermöglicht. Beeinträchtigte Menschen können nach einem entsprechenden Training auf diese Weise wieder alltägliche Bewegungen ausführen, eine gewisse Selbstständigkeit und Bewegungsfreiheit erlangen und sich so existenzielle Bedürfnisse erfüllen. Außerdem verbessert ein aktives Exoskelett bei gelähmten Menschen die Durchblutung der Beine und führt zu einer erheblichen Steigerung der Lebensqualität.

Harmonic Drive® Getriebe unterstützt flüssige Bewegungen

Aktive Exoskelette verfügen neben mechanischen Elementen über weitere aktive Antriebskomponenten, die zur Minderung der Belastung für den Menschen beitragen. Genutzt werden dafür vorrangig kurz- und leichtbauende Getriebe wie die Wellgetriebe der Baureihen CSD und SHD der Harmonic Drive SE, meist kombiniert mit sehr kompakten Elektromotoren. Je nach Modell sind Sensoren verbaut, um die Lage der Gelenke aufzunehmen. Zusätzlich können auch Sensoren eingesetzt werden, um Informationen über Muskelanspannungen zu detektieren. Das Know-how der Hersteller von Exoskeletten liegt in der Verarbeitung dieser Information und der Erzeugung flüssiger Bewegungsabläufe.

Project MARCH – Ansporn für Studenten, Professoren und den Maschinenbau

Menschen mit einer Querschnittslähmung sollen ihre Mobilität wiedererlangen, auf zwei Beinen stehen. So lautet auch das erklärte Ziel des Project MARCH an der Delft University of Technology, Niederlande. Die Herausforderung: Entwurf und Bau eines Exoskeletts. Die Idee: Jedes Jahr wird ein neues, 25-köpfiges Studenten-Team aufgefordert, den bestehenden Prototyp zu verbessern. Hierfür unterbrechen Studenten aus verschiedenen Studiengängen wie beispielsweise Maschinenbau, Elektrotechnik und Industriedesign freiwillig ihr Studium für ein Jahr, um das Exoskelett des Vorjahres-Teams weiterzuentwickeln und zu verbessern. Entworfen, getestet und konstruiert wird nicht nur theoretisch, sondern praxisnah und mit Beteiligung einer vollständig querschnittsgelähmten Person, eines Piloten und der Therapeuten der Sint Maartens Klinik.

Das große Ziel: den CYBATHLON gewinnen!

Der CYBATHLON ist ein einzigartiger, alle vier Jahre in Zürich stattfindender Wettbewerb, bei dem sich Menschen mit Behinderungen beim Absolvieren alltagsrelevanter Aufgaben mittels modernster technischer Assistenzsysteme messen. Kommerzielle und akademische Teams konkurrieren mit ihren selbst entwickelten Exoskeletten, um die Hindernisse des Wettbewerbs so schnell wie möglich zu überwinden. Die Hindernisse sind dabei den Herausforderungen des alltäglichen Lebens nachempfunden – beispielsweise dem Aufstehen aus einem tiefen Sofa, dem Überqueren von Schrägen und unwegsamem Gelände oder dem Treppensteigen. Beim CYBATHLON müssen genau diese Aufgaben von einer querschnittsgelähmten Person mit Hilfe eines Exoskeletts absolviert werden.

Harmonischer Antrieb mit Harmonic Drive®

„Eine möglichst natürliche Bewegung nachahmen, darum geht es beim Project MARCH. Wenn das Gehsignal die Motoren erreicht, beginnen sie zu laufen. Dies geschieht bei 3000 Runden pro Minute. Deutlich zu viel für den Piloten im Exoskelett. Deshalb wurden für die Gelenke Getriebe benötigt, die als Übertragungsmechanismus eingesetzt werden können. So können wir sicherstellen, dass die Drehzahl des laufenden Motors in die richtige Laufgeschwindigkeit übersetzt wird. Dabei muss die Konstruktion des Exoskeletts jedoch kompakt und leichtbauend bleiben“, so Tim Schmidt, Vertriebsingenieur Sonderumgebungen Medizintechnik bei der Harmonic Drive SE. „Nach einigen Gesprächen zu den Anforderungen an unsere Getriebe entschieden wir uns für einen Einbausatz der Baureihe CSD, der sich durch eine besonders kurze Baulänge und geringes Gewicht auszeichnet und somit optimal für das Exoskelett geeignet ist.“

Um den jeweiligen Gelenk- und Kommutierungswinkel des Motors auszulesen, wird je ein Absolutwertgeber motorseitig sowie am Getriebeabtrieb verwendet. Präzision ist hierbei der Schlüssel, denn bereits ein geringfügiger Versatz der Encoderkomponenten führt zu einem fehlerhaften Signal. Gleiches gilt für den Harmonic Drive® Einbausatz. Zum Ausgleich von Achsversatzfehlern werden Getriebe der Harmonic Drive SE standardmäßig mit einer Oldham-Kupplung am Getriebeeingang geliefert. Aufgrund des beengten Bauraums war die Verwendung einer Oldham-Kupplung jedoch nicht möglich. Dadurch musste während der Entwicklung und Konstruktion auf eine genaue Ausrichtung von Motor zu Getriebe geachtet werden.

Die Harmonic Drive® Einbausätze der Baureihe CSD sind erhältlich in sieben Baugrößen mit den Untersetzungen 50, 100 und 160 bei einem wiederholbaren Spitzendrehmoment zwischen 12 und 823 Nm und einer Drehmomentdichte von 230 bis 512 Nm/kg. Die Einbausätze der Baureihe CSD können auf unterschiedlichste Anwendungen angepasst werden und sind aufgrund der Beschränkung auf drei Bauteile sehr robust. Darüber hinaus überzeugen sie durch ihre besonders kurze Baulänge. Des Weiteren wird aufgrund der Spielfreiheit und der hohen Übertragungsgenauigkeit ein exzellenter Geschwindigkeitsgleichlauf erreicht.